ManufakturLab hat sich mit Wolfgang Köchert zum Interview getroffen.
Das Traditionshaus A.E. Köchert ist nicht nur für seine meisterliche Fertigung sondern auch für die Ausbildung von erstklassigen Handwerkern und die tiefe Verbundenheit mit dem Handwerk bekannt. Bereits in sechster Generation sorgt die heutige Unternehmensleitung für eine prosperierende und kreative Fortsetzung einer langen Geschichte.
Wir wollten von Wolfgang Köchert wissen, wie er die Chancen aber auch die Risiken des Handwerks einschätzt.
Handwerk als Wirtschaftskraft, wie ist die Entwicklung in den letzten Jahren zu spüren?
W.K.: Jahrelang wurde das Handwerk sehr stiefmütterlich behandelt und auf das Abstellgleis gestellt. Nachdem die globalen Ketten industriell gefertigten Schmuck mit viel bling bling und ohne nennenswerte Geschichte auf den Markt gebracht haben, wurde Handwerk bzw. der Produktionsprozess als schmutzig, nicht ästhetisch angesehen und somit auch die Werkstätten aus dem Blick verbannt. Die Werkstätte als USP rückt erst jetzt wieder in Mittelpunkt und das verstärkte Bedürfnis bei Kunden nach Individualität und Qualität ist in den letzten Jahren deutlich spürbar geworden.
Man hat erkannt, dass wenn man sich nicht um das Handwerk kümmert das Wissen, die Techniken und Fertigungen verloren gehen. Dieses Wissen ist zum Teil über 200 Jahre alt und bildet die Grundlage für Einzelanfertigungen in hoher Qualität. Unsere Meister in der Werkstatt legen daher größten Wert darauf, diese Techniken und Feinheiten weiterzugeben, den Lehrlingen eine hochwertige Ausbildung zu ermöglichen und dadurch dieses Wissen zu erhalten. Unsere Gesellen sind sehr gefragt, was uns auf einer Seite stolz macht, aber natürlich auch impliziert, dass sie weiterziehen.
Grundsätzlich ist es so, dass das Handwerk wieder ins Bewusstsein rückt und daher verstärkt als Wirtschaftskraft bemerkbar wird.
Wo sehen Sie die Risiken des Handwerks?
W.K.: Die Risiken sind ganz klar darin zu sehen, dass wenn es keine Lehrlinge mehr gibt, dh das Wissen nicht mehr weitergegeben werden kann, das Handwerk tot und damit ein über Jahrhunderte gepflegtes Wissen verloren ist. Es ist nicht so, dass die jungen Menschen kein Interesse am Handwerk haben, ganz im Gegenteil, viele wollen wieder manuell arbeiten.
Da muss allerdings auf mehreren Ebenen angesetzt werden und auch die Politik ist gefragt. Nachdem die Lehrausbildung jahrelang schlecht geredet wurde, muss das Image wieder neu aufpoliert werden, der Stellenwert der Lehre erhöht werden. Das fängt schon bei ganz „kleinen“ Dingen an, wie etwa Freifahrscheine für Lehrlinge, wie sie auch die Schüler erhalten. Die Frage ist auch, ob der Zugang zur Ausbildung verändert werden sollte. Eine Möglichkeit wäre es, dass eine Art „Schulgeld“ für die Lehre bezahlt wird. Die Lehre als Investition in die berufliche Zukunft der jungen Menschen gesehen wird, wie etwa ein weiterbildende Schule usw. Das setzt voraus, dass Qualität und der damit verbundene Stellenwert der Lehre in der Gesellschaft nachhaltig gesichert ist. Auch von Seiten der Politik könnte durch eine finanzielle Unterstützung wie ein „Stipendium“ für Lehrlinge auch jenen die Ausbildung ermöglicht werden, die es sich sonst nicht mehr leisten können.
Im Moment trägt der Meister das ganze Risiko. Eine gute Ausbildung erfordert sehr viel Zeit und Aufmerksamkeit. Die Investition von Seiten des Betriebes ist sehr groß, nicht nur der Faktor Zeit. In der Regel sind top ausgebildete Lehrlinge sehr gefragt und werden nach der Ausbildung schnell abgeworben. Es ist vollkommen legitim dass die Gesellen sich weiterbilden wollen, es ist ein ständiger Weiterentwicklungsprozess im Handwerk. Das war auch in früheren Zeiten der Gedanke beim „auf die Walz gehen“. Darum sollte es eine mögliche Form der Entschädigung für den Lehrmeister geben. Einen weiteren möglichen Weg geht z.B. das ev. Gymnasium hier in Wien. Sie bieten den Schwerpunkt Goldschmiedausbildung an und legen größten Wert auf die Vermittlung der alten Techniken und das damit verbundene Wissen. Da kommen absolute Talente zu uns zum Praktikum. Das zeigt, dass es mehrere Optionen gibt, eine Ausbildung zeitgemäß zu gestalten – man muss nur wollen.
Derzeit ist in den Medien immer wieder zu lesen, dass Lehrlinge keine Umgangsformen haben, kein Interesse zeigen usw. Wie sehen Sie das?
W.K.: Das ist wieder so ein klischeehaftes Vorurteil. Mit diesen Aussagen werden die weit verbreiteten Stereotypen weiter zementiert und auch die zwei Klassen-Bildung gefördert. Das sind junge Menschen, die kommen mit 14 Jahren zu uns und brauchen auch in dieser Richtung eine Unterstützung. Ich sehe es sehr wohl als Aufgabe des Lehrmeisters, den Lehrlingen eine „menschliche Erziehung“, sprich soziale Umgangsformen, die es im Business braucht, angedeihen zu lassen. Die Lehrlinge unterscheiden sich da in keinster Weise von den Anderen.
Wir leben in einem gesellschaftlichen Umbruch. Ist dies auch im Handwerk festzustellen?
W.K.: Ja, diese Generation der Handwerker hat ein neues Selbstbewusstsein und sie zeigen das auch. Sie wollen wieder näher an den Kunden und mit den Kunden ihre Produkte entwickeln. In London gibt es einen Schuhmacher der arbeitet in der „Auslage“. Die Leute können ihm von der Straße aus bei seiner Arbeit zu sehen. Der Handwerker und sein Know How rücken damit in den Vordergrund, der Produktionsprozess wird sicht- und erlebbar. Der Qualitätsanspruch, die Wertschätzung, die Tradition und die Innovation sind in dieser neuen Generation sehr ausgeprägt. Sie sind sich auch bewusst, dass das Handwerk eine wichtige Säule der Wirtschaft darstellt und es dafür die entsprechenden Rahmenbedingungen benötigt – politisch, sozial und strukturell.
Empfinden Sie die globalen Ketten als Bedrohung für die kleinen Werkstätten und Manufakturen?
W.K.: Nein. Das neue Konsumverhalten, der neue Anspruch an die Produkte und die Sehnsucht nach Emotionen spricht für das hochwertige Handwerk. Es ist ein sehr sinnlicher Prozess, der von der Kreation bis zur Umsetzung stattfindet. Die damit verbundene Vorfreude nicht zu vergessen. Das schätzen die Kunden und dafür sind sie auch bereit zu warten bzw. auch etwas mehr Geld auszugeben. Wobei das Argument mit dem Geld hinkt.
Die globalen Firmen geben unglaublich viel Geld für Marketing und Werbung aus, das zahlt der Kunde natürlich mit. Wenn man sich die Produkte, das Material und die Ausführung genauer ansieht und sich bewusst macht, dass es ein Stück von Tausenden ist, ist der Glanz schnell ab. Ein handgefertigtes Stück aus der Werkstatt ist nicht zwangsläufig teurer.
Selbstverständlich gibt es Kunden, Nationalitäten die den hohen Wiedererkennungswert lieben und dafür auch viel Geld ausgeben, aber hier wächst ebenfalls eine neue Generation heran. Es ist auch eine Evolution die im Kopf stattfindet und à la longue ist der Wunsch nach Kultur, nach regionalen Produkten, nach dem Wissen, der Geschichte, wer z.B. meinen Ring produziert hat, die große Chance für derzeit noch Nischenfirmen. Ich denke die Zeit spricht für uns.
Wie sehen Sie die Konkurrenz aus Fernost?
W.K.: Ich würde es nicht unbedingt als Konkurrenz sehen. Es findet eigentlich ein Wissenstransfer statt. Gerade junge Firmen in Asien, aber auch in Amerika, holen sich Meister aus Europa und damit das Know How für ihre Produktion. Europa hat da im Moment noch eine Vorreiterrolle, allerdings dürfen die Menschen nicht unterschätzt werden. Gerade in Fernost sind sie sehr talentiert und eignen sich die Techniken, das Wissen, sehr schnell an und lernen gut zu kopieren, sehr gut sogar. Es besteht natürlich die Gefahr, dass den Europäern der Rang abgelaufen werden könnte. Der beste Schutz ist meiner Meinung nach, unsere Zünfte zu stärken, zu unterstützen, Bewusstsein zu bilden und vor allem das lange tradierte Wissen an die junge Generation weiterzugeben.
Wie stehen Sie zum Diskurs Handwerk – Kunst – Kunsthandwerk?
W.K.: Warum soll, darf Handwerk nicht den Anspruch der Kunst haben? Warum immer entweder oder? Es ist eine veraltete, stark verkrustete Sichtweise, dass Handwerk nicht Kunst sein darf. Durch die neue Generation der Makers und ihr Zugang zum Handwerk findet bereits eine Transformation statt und eine neue Sicht auf den Stellenwert des Handwerks entwickelt sich.
Der Begriff Kunsthandwerk ist schwierig, da er oft missbraucht braucht wird – die Assoziation zu verkitschtem Weihnachtsmarkt usw. liegt nahe, es gibt da „Blüten“ in alle Richtungen.
Meiner Meinung nach gibt es Handwerker, die sind wahre Künstler in ihrem Gebiet, Meister ihres Faches.
Wir danken herzlich für das Gespräch.
Fotocredit: A.E. Köchert
Portrait: CWFK Copyright KURIER-Jeff Mangione